

Schon gehört? Uwe ist weg.
Wie weg?
Weg eben. Fünfundsechzig und weg.
Und jetzt?
Jetzt suchen sie einen Nachfolger für den Nachfolger von Willy Fleckhaus.
Das soll nicht unser Problem sein.
Richtig. Und Uwe?
Macht weiter. Ohne Fachbereich. Aber wie bisher.
Mit sowas hört man nicht auf.
Na dann.
Weißt du noch, wie er sich morgens in der Uni durch den Inhalt seines Postfachs gewühlt, kommentiert, warmgeredet hat?
Klar. Bis er irgendwann von sich selbst ermattet unsere Entwürfe sehen wollte.
Aber vorher noch eine rauchen.
Und wandeln, durch die Alleen, wenn die Blätter treiben...
Quatsch. Lass Rilke aus dem Spiel, soweit ist es noch lange nicht.
Eher ein Wandeln durch die Räume.
Heiter Raum um Raum durchschreiten? Das wäre Hesse. Auch zu früh!
Ich meine seine damaligen Räume am Haspel.
Einmal über den Flur, eine Tür rechts neben der Ästhetik, mit Fenster zum Hof.
Die Räume voller körperlicher und geistiger Bewegungsfreiheit.
Ich hab gehört, dass ihm seine ehemaligen Studenten zum Abschied ein Buch gestaltet haben. Wahrscheinlich mit den gefühlt fünftausendsten Interpretationen des Inhalts seines Schuhschranks.
Bestimmt. Aber wer so rumläuft ist ja auch selbst schuld.
Die Schüler meinen es halt gut mit ihrem Meister. So jemand prägt.
Er selbst nennt sich in diesem Zusammenhang ›Lebensabschnittsheiliger‹.
Mit einem Lächeln.
Thomas Bernhard würde ihn wohl »Lebensmensch« nennen.
Wenn schon Pathos, dann richtig. Er war die Tiefenschärfe im Weltbildfeldstecher.
Na, das ist jetzt aber doch ein bisschen zu hochgegriffen.
Außerdem: Wieso war? Er ist.
Das ist hier schließlich kein Nachruf. Soll eher ein Vorwort sein.
Kennst du die Geschichte, wie er mit einem VW-Bully alleine und ohne Windschutzscheibe bis nach Afghanistan gefahren ist?
Mmm. Bekannt. Erzählt er jedem. Außerdem hat er Bazon Brock, der eines Tages recht farbenfroh gewandet den Raum betrat, attestiert, er sähe aus wie ein Panton-Möbel.
Zwei so unterschiedliche Menschen durch ein sympathisches Maß an Verhaltensauffälligkeit vereint. Aber mal was anderes…
Bringt uns dieses Herumklauben in der Vergangenheit eigentlich weiter?
Keine Ahnung, aber es wärmt.
Andererseits wiederum Abschied. Den haben wir längst hinter uns.
Unser Ort war der Haspel und nicht die neuen, geheimnislosen Räume auf dem Berg.
Die bedeuten nichts. Nicht für uns.
Eigentlich müssten seine heutigen Studenten ihm hinterherwinken.
Aber keine Tränen bitte. Er lebt immerhin. Auch wenn sich er mit seinem letzten Semesterthema scheinbar einen Platz in der Ewigkeit sichern wollte.
Entwurf von Mausoleen berühmter Persönlichkeiten.
Gibt’s da eigentlich schon eins für ihn?
Weiß nicht. Was soll das dann sein? Ein Schuhgeschäft?
Das wäre Motto zum Fotto. Oder Neger vor Hütte.
Auf jeden Fall gutgemeint.
Gutgemeint ist das Gegenteil von Kitsch, sagt er.
Und ist auf diesem Gebiet relativ schmerzfrei. Ich sag nur: »Immer nur hächeln«…
Vielleicht sollte sich Uwe einen Schäferhund anschaffen.
Und dann?
Wie und dann? Gassi gehen, mit Halterinnen von Pudelgezücht über die Vergeblichkeit als solche debattieren, dem Hund einen Namen geben – was man als älterer Herr so macht.
Mit dem Namen wird’s schwierig. Immerhin hat Uwe mal ein Tretboot auf den Namen »Trotzdem« getauft. Lass ihn das mit dem »älteren Herrn« bloß nicht hören.
Auf dieses Rentner- und Ruhestandsgerede hat er überhaupt keine Lust.
Wieso? Kann doch ganz lustig sein, gemeinsam mit Bazon Brock auf der Parkbank
zu sitzen und Tauben zu vergiften.
Er könnte den Köter »Nichtsdestoweniger« nennen.
Oder »Fass!« Ein schwanzwedelnder Imperativ.
Da können wir zum Abschied direkt einen Wortspielmannszug anheuern.
Und der Rektor spricht ein offizielles Grußwort.
Und er bekommt eine Urkunde in Gold-Fraktur.
Das könnte ihm in der Konsequenz schon wieder gefallen. Ich habe eine bessere Idee.
Wir überreichen ihm dieses Buch. Seine Ehemaligen in gebundener Form. Und sagen ihm Danke.
Und wünschen ihm Glück.
Genau. Und was wird aus uns?
Wir bleiben in der Nähe.